1998 -2024
Seit 1998 besuche ich regelmäßig das polnische Dorf Dzwonow, ehemals Schellendorf, im damaligen Niederschlesien, wo meine Mutter 1931 geboren und bis 1945 aufgewachsen, jedoch nach der Flucht in den Westen Deutschlands bis zu ihrem Tod 1999 selbst nie mehr gewesen ist. Die heutigen Dorfbewohner stammen ursprünglich aus der Ukraine, dem damaligen Ostpolen, welches von der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg beansprucht wurde, verbunden mit der Zwangsumsiedlung der polnischen Bevölkerung. Die Arbeit schwarzer Schnee verbindet assoziativ skulpturale und filmische Elemente, denen eine jahrelange Recherche zugrunde liegt. Das Schweigen der Mutter und die Erzählungen der jetzigen Bewohner des Dorfes, mit ihren eigenen Fluchterfahrungen, überlagern und durchringen sich: eine Epigenetik, die invasiv die umgebende Vegetation mit einbezieht und zu einer allumfassenden Schicksalsgemeinschaft wird.
Since 1998 I have regularly visited the Polish village of Dzwonow, formerly Schellendorf, in what was then Lower Silesia, where my mother was born in 1931 and where she grew up until 1945. However, she never returned to her home village after her flight to western Germany and until her death in 1999. The current village dwellers originally stem from Ukraine, which was then eastern Poland and was claimed by the Soviet Union after World War II, accompanied by the forced resettlement of the Polish population. The work Black Snow associates sculptural and filmic elements based on years of research. My mother’s silence and the stories relayed by the current villagers, with their own experiences of flight, overlap and permeate one another: an epigenetics that invasively includes the surrounding vegetation and becomes an all-encompassing community of fate
Ursula Neugebauer
Ansicht: Forum Kunst Rottweil, 2019
Ansicht: Kunstraum München, 2024
Mutter, 2019
Ein Anfang der 1950er Jahre aufgenommenes Foto der in einem Boot sitzenden Mutter der Künstlerin, Berta Charlotte Anita Neugebauer, geb. Lange, projiziert auf eine frei im Raum hängende, windbewegte transparente Gaze und – als statisches Bild – auf die dahinter liegende Wand
Tuch, 300 x 300 cm, Projektor, Ventilator
Mother, 2019
A photograph taken in the early 1950s showing the artist’s mother, Berta Charlotte Anita Neugebauer, née Lange, sitting in a boat, projected on a wind-blown transparent gauze hanging freely in the space and at the same time as a static image on the wall behind it
Cloth, 300 x 300 cm, projector, ventilator
Rock, 2019
Metallgestell, 110 x Ø 30 – 70 cm, schwarzer Stoff
Bordüre: Kopiedruck aus dem Foto Mutter Rock ist die Nachbildung des Rocks der Mutter der Künstlerin, der auf der Fotografie Mutter zu sehen ist. Die Blumenbordüre ist herauskopiert und negativ auf den Rock geprintet. Der Rock ist mit schwarzem Samt gefüttert, dadurch wird im Inneren alles Licht absorbiert;Tiefe und Volumen sind nicht zu ermessen.
Skirt, 2019
Metal frame, 110 x Ø 30 – 70 cm, black linen, black velvet
Edging: digital print from the photograph Mother Skirt is the replica of the skirt of the artist’s mother shown in the photograph Mother. The floral edging has been copied out and reproduced as a negative print on the skirt. The skirt is lined with black velvet, which absorbs all of the light inwardly; depth and volume cannot be estimated.
Mohn, 2019
Video, Projektion auf Acrylglas, 60 x 100 cm, Projektor, 2 Stative
12:21 min, Loop
Zu sehen ist die Künstlerin, wie sie mit dem Rock, der als Objekt auch in der Ausstellung gezeigt wird, in dem Dorf Dzwonów durch ein Kornfeld geht. Rock ist die Nachbildung des Rocks der Mutter der Künstlerin, der auf der Fotografie Mutter zu sehen ist. Die Blumenbordüre ist herauskopiert und negativ auf den Rock geprintet.
Poppy, 2019
Video, projection on acrylic glass, 60 x 100 cm, projector, 2 tripods
12:21-min loop
The video shows the artist wearing the skirt presented in the exhibition walking through a grain field in the village of Dzwonów. Skirt is the replica of the skirt of the artist’s mother shown in the photograph Mother. The floral edging has been copied out and reproduced as a negative print on the skirt.
Brunnenstein, 2019
Sandstein mit Inschrift, Brunnenstein von 1825 vom Grundstück der Urgroßeltern der Künstlerin aus dem Dorf Dzwonów 20 x 35 x 46 cm
Stone Watering Trough, 2019
Sandstone with inscription, stone watering trough from 1825 from the property of the artist’s great-grandparents in the village of Dzwonów
20 x 35 x 46 cm
Dorf, 2019
Video, Projektion auf Acrylglas, 60 x 100 cm, Projektor, 2 Stative
10:09 min, Loop
Der Film präsentiert Aspekte des Dorfes Dzwonów, in dem die Mutter aufgewachsen ist: die ruinösen Häuser, die von der Natur eingenommen werden, ein Fundstück – den Brunnenstein vom ehemaligen Grundstück des Urgroßvaters der Künstlerin –, das als Objekt in der Ausstellung zu sehen ist, sowie einen Apfelbaum, ein fast hundertjähriger Hochstamm, dessen Äpfel noch immer geerntet werden.
Village, 2019
Video, projection on acrylic glass, 60 x 100 cm, projector, 2 tripods
10: 09 -min loop
The video presents aspects of the village of Dzwonów, in which the ar- tist’s mother grew up: ruined houses taken in by nature, an objet trouvé – the stone watering trough from the former property of the artist’s great-grandfather – which is on display in the exhibition, as well as an apple tree, a nearly century-old standard, whose apples continue to be harvested.
Felicja, 2019
Video, Monitor; 7:52 min, Loop
Das Video zeigt Felicja Sieradzka, die in den 1950er Jahren aus der heutigen Ukraine zwangumgesiedelt wurde. Sie berichtet über ihr Leben in dem Dorf Dzwonów, das ihr bis heute fremd geblieben ist, und von ihren Kriegserlebnissen.
Felicja, 2019
Video, monitor; 7:52-min loop
The video presents Felicja Sieradzka, who was forced to resettle from what is now Ukraine in the 1950s. She tells of her life in the village Dzwonów, which to this day remains foreign to her, and of her experi- ences during the war.
My się musieli usunąć stamtąd i także prześlimy tu, a tu zawalisko i do tej pory trzeba robić.To jest pół domu nowego wymurowanego, a ten dół jest stary.Teraz dach i też się psuje.Trzeba robić, no wszystko, ale. Trochę ciężko je, bo mamy bardzo ciężkie pole. Kamienie, górki, piaski – tak jak w zeszłym roku to wysechło. Zboże takie jak poślad było, usech- nięte, buraki to tylo, że opłacili tylko to co się wzieno na wóz, na sienie. No, a jak w tym roku… nie wiadomo jak też będzie.Tak, czuję to, tak. Czuję to, że tu byli inne ludzie. Może oni mają też żal do nas, że my tu jesteśmy, ale to wojna była. Nam też dom spalili, też Niemcy… no i także… wiem, że tutaj przyjeżdżają i na pewno mają żal, że my tu
jestesḿ y. No ale na to ja nic nie poradze,̨ ja nic niewinna.W tym, zė tak jest.
Wir mussten uns von dort entfernen. So kamen wir hierher. Aber hier ist eine Ruine.
Und bis zur heutigen Zeit muss man daran arbeiten. Hier ist das halbe Haus neu gemauert.Aber das Fundament ist alt. Jetzt geht das Dach auch kaputt.
Man muss wieder alles neu machen.Aber es ist ein bisschen hart.
Wir haben sehr schlechte Felder. Steine, Berge, Sand. So ist letztes Jahr fast alles vertrocknet.
Das Getreide war ausgetrocknet. Die Rote Bete hat gerade mal das rein- gebracht, was wir für Saat und Dünger ausgegeben haben. Und was dieses Jahr kommt, ist fraglich.
Ja, ich spüre es. Ja. Ich fühle manchmal, dass hier andere Menschen waren. Vielleicht haben sie auch uns gegenüber Vorwürfe, dass wir hier sind. Aber es war Krieg. Uns haben sie auch das Haus abgefackelt. Ebenfalls die Deutschen. Ich weiß, dass einige hierherkommen und uns gegenüber einen Groll haben, weil wir hier sind. Aber da kann ich nicht helfen, ich bin nicht schuld. Daran, dass es so ist.
We had to move there. So we came here. But is a ruin.
And to this day, you have to work on it. Of the house newly bricked. But the foundation is old. Now the roof is broken.You have to do everything.
But it’s a bit tough.We have very bad fields. Stones, mountains, sand.
So almost everything dried up last year.The grain dried up.The beetroot just brought in what we spent on sowing and. And what’s coming this year is questionable.Yes, I feel it.Yes. I sometimes feel that there were other people here. Maybe here. But it was war. They also torched.
The Germans. I know that they come here and have a grudge against us because we are here. But I can ́t help it, I’m not to.
Bogumila, 2019
Video, Monitor; 2:47 min, Loop
Das Video porträtiert Bogumila Rojowska, die in dem Haus lebt, in dem die Mutter der Künstlerin aufgewachsen ist. Sie erzählt von dem alten Ap- felbaum, der auf dem Grundstück wächst und dessen Früchte sie erntet.
Bogumila, 2019
Video, monitor; 2:47 -min loop
The video portrays Bogumila Rojowska, who lives in the house that the artist’s mother grew up in. She tells of the old apple tree that grows on the property and whose fruit she harvests.
U nas za domem rośnie jabłoń z czasów przedwojennych.Ta jabłonka, jak jabłka zaczną, ehh. jak to powiedzieć – obrodzi. One są bardzo twarde, dopiero jak przyjdzie pierwszy przymrozek, jabłka pospadają wtedy te wszystkie jabłka zbieramy do skrzynek, przynosimy do stodoły, one tam dojrzewają. Potem są tak soczyste, miękkie, żółciutkie, a szarlotka z tych jabłek jest przepyszna
Bei uns hinter dem Haus wächst ein Apfelbaum aus Vorkriegszeiten. Die- ser Apfelbaum, wenn die Äpfel anfangen, wie soll ich das sagen, sie sind sehr hart. Erst wenn der erste Frost kommt, fallen die Äpfel herunter. Wir sammeln alle Äpfel in Kisten, bringen sie in den Speicher. Sie reifen dort. Danach sind sie so saftig, weich, extrem gelb, und der Apfelkuchen aus diesen Äpfeln ist sehr köstlich.
Behind the house grows an apple tree from prewar times.This apple tree, when the apples start, how can I say are very tough. Only when the first frost comes the apples fall. We collect all the apples in boxes, bring them to the store.They mature there. After that they are so juicy, soft, extre- mely yellow, and the apple pie from these apples is very delicious.
Friedhof, 2019
Video, Projektion auf Acrylglas, 60 x 100 cm, Projektor, 2 Stative
11:58 min, Loop
Das Video zeigt im 360-Grad-Rundblick den Friedhof des Dorfes Dzwonów, auf dem bis 1945 Deutsche begraben wurden, so auch die Großmutter der Künstlerin, Berta Charlotte Lange, am 31. August 1945. Nach der Zwangsumsiedlung der ostpolnischen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Friedhof eingeebnet, alle Grabsteine wurden entfernt und die Inschriften auf der Friedhofsmauer zerstört.
Cemetery, 2019
Video, projection on acrylic glass, 60 x 100 cm, projector, 2 tripods
11:58-min loop
The video shows a 360-degree panorama view of the cemetery of the village of Dzwonów, where Germans were buried until 1945, as was the artist’s grandmother, Berta Charlotte Lange, who was buried here on August 31, 1945. Following the forced resettlement of the eastern Polish population after World War II, the cemetery was levelled, all of the gravestones removed, and the inscriptions on the cemetery wall destroyed.
Bohrstöcke, 2023Edelstahl, je 100 x 12 / 20 x 1,5 cm(Sonden-ø je 1 cm), und Erde des Friedhofs, auf dem die Großmutter begraben liegt
Boring Rods, 2023
Stainless steel, 100 x 12 / 20 x 1,5 cm each
(ø of the sensors 1 cm each), and earth from the cemetery where the artist’s grandmother is buried
Baumscheibe 1945, 2023/24
Baumscheibe der etwa 230-jährigen Kastanie, die am 5.10. 2023 auf dem Friedhof, wo die Großmutter begraben liegt, gefällt wurde, und Stecknadeln mit roten Glasköpfen Markierung des Jahresrings 1945: Das Jahr des Ende des Zweiten Weltkrieges und der Beginn der Umsiedlung der deutschen Einwohner von Schellendorf und der Ansiedlung der polnischen Bevölkerung im nun Dzwonów genannten Dorf, aber auch das Jahr des Todes der Großmutter
der Künstlerin
74 x 72 x 4 cm
Tree Disc 1945, 2023/24
Tree disc from an approximately 230-year-old chestnut tree that was cut down on October 5, 2023, on the cemetery where the artist’s grandmother is buried, and pins with heads made of red glass Ring indicating the year 1945: the year World War II ended, which also marked the beginning of the resettlement of the German inhabitants of Schellendorf and the settlement of Polish people in the village of what is now called Dzwonów; 1945 also marks the death of the artist’s grandmother.
74 x 72 x 4 cm
schwarzer Schnee, 2019
Porzellan-Abformungen die Füße der Künstlerin,
je 18 x 8 x 20 cm,
und Glashaube, 18 x 48 x 50 cm
Black Snow, 2019
Porcelain castings of the artist’s feet,
18 x 8 x 20 cm each,
and glass cover, 18 x 48 x 50 cm
schwarzer Schnee, 2019
Porzellan-Abformungen der Hände der Künstlerin,
je 20 x 9 x 6,5 cm,
und Glashaube, 18 x 48 x 50 cm
Black Snow, 2019
Porcelain castings of the artist’s hands,
20 x 9 x 6.5 cm each,
and glass cover, 18 x 48 x 50 cm
Body and Memory
On Ursula Neugebauer’s Group of Works
Black Snow
at the Kunstraum München
Artikel „Kollektiver Reflexionsraum“ von Jelena Maier Süddeusche Zeitung